Computerchips und Halbleiter werden immer kleiner, Flugzeuge und Windkraftanlagen immer größer: Die Abmessungen heutiger Industrieprodukte entwickeln sich extrem auseinander. Doch während die kleinen Strukturen schon gut erforscht sind und der Begriff Nanotechnologie klar definiert ist, fehlt eine solche Definition für großskalige Produkte.
Mitarbeiter des Instituts für Integrierte Produktion Hannover (IPH) wollen das ändern. Seit 2008 befasst sich das Institut aus wissenschaftlicher Sicht und branchenübergreifend mit XXL-Produkten. Im englischsprachigen Journal Production Engineering veröffentlichen die Wissenschaftler erstmals eine Definition, mit der sich konventionell große Produkte und XXL-Produkte eindeutig voneinander trennen lassen. So können Diskussionen präzise geführt werden – sowohl im wissenschaftlichen Umfeld als auch in Politik und Gesellschaft. Auch Forschungsprojekte und Förderinstrumente können mithilfe einer klaren Definition besser ausgerichtet und organisiert werden.
Im Gegensatz zu Nano-Strukturen, die laut Definition kleiner als hundert Nanometer sind, lassen sich XXL-Produkte nicht anhand ihrer absoluten Größe definieren. Denn die Grenze zwischen „groß“ und „XXL“ ist relativ und verschiebt sich mit der Zeit. So lag beispielsweise der maximale Rotordurchmesser von Windkraftanlagen im Jahr 1982 noch bei 15 Metern, inzwischen hat er sich auf 154 Meter vergrößert, heißt es in dem Aufsatz mit dem Titel „Towards a definition of large scale products“.
Fest steht aber: Je größer ein Produkt wird, desto schwieriger wird beispielsweise die Fertigung. XXL-Produkte lassen sich nicht so einfach in der Fabrik vom Band fertigen – erst recht nicht, wenn sie Jahr für Jahr weiter wachsen. Eine Fabrik für Rotorblätter, die im Jahr 2000 gebaut wurde, ist heute schlicht zu klein, um die deutlich größer gewordenen Produkte in der ursprünglich geplanten Menge herzustellen.
Für Unternehmen sind XXL-Produkte daher deutlich aufwendiger und teurer herzustellen als Produkte durchschnittlicher Größe. Normalerweise halten sich Aufwand und Nutzen die Waage. Beispiel Fahrzeugbau: In einem Wagen der Oberklasse steckt mehr Entwicklungsarbeit, mehr Material und mehr Elektronik als in einem Kleinwagen. Im Autohaus wird er deshalb auch deutlich teurer verkauft. In der Regel gilt: Die Produktionskosten wachsen proportional zur Größe oder zu den Funktionen eines Produkts.
Bei XXL-Produkten funktioniert diese Faustregel jedoch nicht. Spätestens, wenn das Produkt nicht mehr in einer normalen Fabrik vom Band gefertigt werden kann, laufen die Kosten aus dem Ruder. Dann muss beispielsweise eine neue, größere Fabrik gebaut werden. Oder der logistische Aufwand steigt – etwa bei Windrädern, die in Einzelteilen auf Schwertransportern zur Baustelle gebracht und dort montiert werden. Oder es müssen neue Materialien und Leichtbauweisen entwickelt werden, um noch größere Produkte überhaupt möglich zu machen.
Genau daran lässt sich das XXL-Produkt vom konventionell großen Produkt unterscheiden. „Ein großskaliges Produkt ist ein Produkt, bei dem der Mensch […] an seine technischen, organisatorischen und damit wirtschaftlichen Grenzen stößt“ – so lautet die Definition der IPH-Wissenschaftler. Signifikant für XXL-Produkte sei „ein überproportionaler Anstieg des Aufwandes“ – zum Beispiel für Konstruktion, Fertigung oder Transport – sobald ein „charakterisierendes Merkmal des Produktes“ noch weiter vergrößert wird. Also wenn beispielsweise der Rotorblatt-Flügel noch länger werden oder das Flugzeug mehr Sitze haben soll.
Die Hypothesen wurden an drei Beispielen empirisch überprüft: An Gewindemuttern, Spindelpressen und Passagierflugzeugen. Dabei fanden die Wissenschaftler heraus, dass beispielsweise ein Flugzeug mit 200 Sitzen doppelt so teuer ist wie ein Flugzeug mit 100 Sitzen. Kosten und Nutzen sind proportional. Bei mehr als 220 Sitzen steigt der Preis allerdings überproportional an – ab hier kann man von einem XXL-Produkt sprechen. Auch bei Spindelpressen und Gewindemuttern ist irgendwann der Punkt erreicht, an dem sich Kraft oder Größe nicht weiter steigern lassen, ohne dass die Produktkosten explodieren.
Mit den Produkten wachsen allerdings auch die Maschinen und die Fabriken, und es werden ständig neue Produktionstechniken entwickelt, um großskalige Produkte in Serie zu fertigen. Auch daran arbeiten die Ingenieure am IPH. Was heute noch als XXL gilt, ist vielleicht morgen schon ganz normal.
Der Aufsatz mit dem Titel „Towards a definition of large scale products” ist bereits online auf der Webseite des Springer-Verlags veröffentlicht und erscheint zudem in der nächsten Print-Ausgabe des Journals Production Engineering. Bei den Autoren handelt es sich um Prof. Dr. Bernd-Arno Behrens, Prof. Dr. Peter Nyhuis und Prof. Dr. Ludger Overmeyer – alle drei sind Professoren an der Leibniz Universität Hannover und geschäftsführende Gesellschafter des IPH – sowie Dipl.-Ing. Aaron Bentlage, Dipl.-Ing. Tilmann Rüther und Dr. Georg Ullmann.